27.10.09

Grit Hübener: Grenzwege


Darf man selbst eine glückliche Kindheit in der DDR gehabt haben? Andreas stellt sich diese Frage. Er ist einer von 22 Pilgern, die mit Grit Hübener die Grenzwege beschritten. Sieben von ihnen erzählen eindrucksvoll von inneren und äußeren Begegnungen auf dem Weg im Niemandsland.

Büsche und Sträucher sind dort gewachsen, wo zu Zeiten der DDR Minenfelder und Stacheldraht Verwandte, Freunde und Nachbarn trennten. Die Umkehr zum versöhnten Leben schafften die Pilger aus Ost und West während ihrer achttägigen Wanderung zwischen Berlin, Frankenheim, Philippsthal und Silkerode.

“Es war ein Grummeln spürbar”, beschreibt Thomas-Dietrich Lehmann (“Leh”) die Stunden vor der Grenzöffnung. Von der Bornholmer Straße, wo sich gegen 22.30 Uhr die ersten Schlagbäume öffneten, war er keine hundert Meter entfernt. “Das war wie ein Verkehrsunfall”, sagt er. “Man ging hin und schaute zu.” Am 11. November demonstrierte er gegen eine Aktion einer Supermarktkette. Sie verteilten Bananen und Schokoladepäckchen mit Stadtplänen, auf denen die hauseigenen Filialen eingezeichnet waren. Über Grenzen zu gehen sei die ureigenste jesuanische Tradition. Und: die eigentliche Wende stünde Deutschland noch bevor. Im Nachwort drückt Claudia, auch sie pilgerte die Wege in der Gruppe, ihre Gedanken so aus: “Ich habe begriffen, dass man ihnen diese unglaubliche Revolution abgesprochen hat, indem man sie als Wende titulierte.”

Den Weg der Versöhnung schlug Pfarrer Alfred Spekker ein. Nach seinem Ehebruch wurde er in ein Grenzdorf versetzt. Offen und ehrlich sprach er über seine familiäre Situation und gewann damit das Vertrauen der Gemeindemitglieder.

Andere Erfahrungen machte die Kindergärtnerin Elisabeth Böhme in einer katholischen Tagesstätte. Sie glaubte an den Schutz der kirchlichen Einrichtungen. Bis ihr die dokumentierte Kopie eines Briefes in die Hände gelang, den sie vor zwanzig Jahre an eine Verwandte im Westen schrieb. Der Inhalt war harmlos: “Die Erdbeeren sind jetzt alle eingekocht.”

Es ist der Feinschliff der menschlichen Tragödien, der dieses Buch zu einem unverzichtbaren Werk im deutsch-deutschen Dialog macht. “Es sind doch Menschen wie du und ich”, resümierte der Grenzer als er über den See in den anderen Teil Deutschlands schaute. Es sind Menschen wie du und ich, die von den Geschichten aus Ost und West zwanzig Jahre nach dem Mauerfall tief berührt werden können.

(jesus.de)

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