25.05.10

"Die Möglichkeit akzeptieren, Schuld bekennen zu können"

ÖKT 2010: Bibelarbeit im Alten Rathaus

Die Bibelarbeit im historischen Festsaal im Alten Rathaus versprach eine spannende Sache zu werden. Zu dem Text aus dem Matthäus-Evangelium im Kapitel 25 (über die Trennung der Böcke und Schafe) wollten viele Kirchentagsbesucher die Juristin Alexandra Kemmerer und Verfassungsrechtler Prof. Dr. Christoph Möller hören. Der Alte Rathaussaal war voll.

Gehobenes Bildungsbürgertum fand sich ein, lobte Gott groß im Gesang und hörte das “Te Deum” und den Psalm 70 auf Deutsch und Latein. Professor Möller nannte zunächst den großen Spannungsbogen, der in der Gerichtsszene in Matthäus 25, 31 – 46 aufgebaut werde. Eine ambivalente Erwartungshaltung sei hier abzulesen. Ungewiss, ob die Szenerie das Fürchten oder das Hoffen lehre. Nicht einmal die Kriterien, nach denen das Gericht gehalten werde, seien bekannt. Selbst die Stunde wisse niemand und so müsse in jeder Sekunde damit gerechnet werden, dass die Kriterien gegen uns gerichtet werden können. Obwohl nichts klar sei, wünsche man sich doch, dass es endlich beginnen möge, so Möller. “Ja, es kann unangenehm werden und gleichzeitig warten wir, dass der Vorlauf beendet wird und wir damit konfrontiert werden.”

Was die Barmherzigkeit von uns fordere, sei ebenso herausfordernd, wie das Gericht, meinte Kemmerer. Aus ihrer Erfahrung wisse sie, dass selten soviel Hoffnungen in Richter gesetzt wurden, wie in dieser Zeit. In der Szene im Matthäus-Evangelium allerdings trete kein Verteidiger auf. Die Sache ist entschieden. Das Urteil steht fest und wird nur noch verkündigt. Die Rückfragen: “Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und dir zu essen gegeben?”, zeigen, dass weder für die Angeklagten, noch für die Freigesprochenen die Sache so eindeutig war. Der Richter aber ist sich seiner Sache sicher. Auch dann, wenn er in Jesus Christus wieder kommt. “Dann geht es um das Ganze. Um den Punkt der Wahrheit, an dem alle Zukunft beendet ist und doch erst alles beginnt.”

Bis dahin, so Kemmerer, bleibe uns die absolute Wahrheit verschleiert und alles, was wir erkennen, bleibt fragmentarisch und Stückwerk. Daher müsse auch die Minderheit verteidigt werden und neben der eigenen Meinung bleibt stetig zu hoffen, dass auch die andere gelten könne. Kemmerer betonte auch, dass durch das Gericht, durch Verwandlung und Neubeginn, das verheißene Ziel erreicht werde. Bei dieser Bibelbetrachtung wolle sie das Portal aber nicht durchschreiten, sondern das Gericht betrachten.

Jeder für sich sei nicht der einzige, der hoffe, das könne das aus dem Bibeltext abgeleitet werden. Es gibt ein großes “Wir”. Die Kirche, das Volk, ein Universalgericht. Der Richter, dessen Aufnahmefähigkeit unsere Vorstellung weit überschreite, sehe das Netzwerk an sozialen Beziehungen und die ganzheitlichen Verflechtungen. Zwar könne jede Tat für sich gewürdigt werden, im Gericht gehe es ums Ganze. Als Horizont, der hinter unserem Leben steht, schaffte Jesus Gemeinschaften. Uns voran und alles verbindend. Er selbst steht da als der Geringste, dem wir im Nächsten begegnen. “In dieser Kultur der Anerkennung tritt jeder dem anderen mit Würde gegenüber.”

Möller griff die Frage auf, ob die Liebe der Maßstab eines Gerichtes sein kann. “Die Liebe und Barmherzig als Maßstab bleibt dennoch eine Gerichtsszene und Vergebung ist nicht für alle vorgesehen.” Schließlich fragten laut dem Matthäus-Evangelium beide den Herrn. Die einen, wann sie Gott kleideten und die anderen, wann sie ihn nicht kleideten. In beiden Fällen, so Möller, gehe es um Schuld. Eine Schuld, ohne die es keine Freiheit gebe. Wenn man das Ende bedenke, an der nur noch die Seele und die Schuld bliebe, müsse man die Möglichkeit akzeptieren, die Schuld bekennen zu können.

Mit dem Bibeltext werde man nicht ins Reine kommen, so Möller abschließend. Denn vorstellen könne man sich beides nicht. Die Unterscheidung von den Böcken und den Schafen könne man nicht ertragen. Die Erlösung als etwas von vornherein gegebenes können man nicht annehmen und die Liebe, die Gericht und Verurteilung zu lasse, übersteige den Verstand. Was bleibt ist ein Trost: “Alles, was wir tun, ist erst das Vorletzte und steht im Schatten des letzten Gerichts.”

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